8. August 1918: Bei Amiens an der Somme durchbrechen australische und kanadische Verbände mit starken Panzergeschwadern im Nebel des Morgens und im Schutz von Nebelgranaten die deutsche Front. Der Reserve der 2. Armee gelang es den Angriff südl. Bray zu stoppen. Am 9./10. August griffen franz. Einheiten zwischen Montdidier und Compiègne an. Von sieben deutschen Divisionen wurden sechs zerschlagen. Die Kampfmoral der Einheiten ließ nach; nicht so bei den kampferfahrenen Soldaten wie bei den vielen erstmals an der Front eingesetzten.
Die Reserven waren aufgebraucht. Ludendorff stellte fest, daß die zur sicheren Planung nötigen Grundlagen nicht länger gegeben wären. »Das Kriegführen nahm damit... den Charakter eines unverantwortlichen Hazardspieles an, das ich immer für verderblich gehalten habe. Das Schicksal des deutschen Volkes war mir für ein Glücksspiel zu hoch. Der Krieg war zu beenden [ 1].«
Ludendorff führte, nach Rücksprache mit Kaiser Wilhelm II., Paul von Hindenburg und dem Leiter des Kriegskabinetts, eine Zusammenkunft mit dem Reichskanzler und dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes herbei. Diese fand am 13./14. Aug. 1918 in Spaa statt.
Ludendorff gegenüber sprach Wilhelm II. davon, durch die gescheiterte Offensive im Juli 1918 und aufrund der Ereignisse vom 8. August zu der Überzeugung gelangt zu sein, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei [ 2]
Der Kaiser trug dem Staatssekretär v. Hintze auf, eine Friedensvermittlung, möglichst durch die Königin der Niederlande, einzuleiten. Die Bevölkerung müsse über die Situation aufgeklärt werden und die Regierung geschlossen und einheitlich auftreten [ 3].
Staatssekretär v. Hintze informierte die OHL (Oberste Heeresleitung) am 9. Sept. 1918 in Spaa über seine Bemühungen, die Staaten, die mit dem Deutschen Reich zusammenarbeiteten oder mit ihm verbündet waren, auf eine einheitliche Linie zu bringen.
Die Zeit verstrich, der September ging dahin und Ludendorff stellte fest:
»daß seit Mitte August die Regierung für die Herbeiführung des Friedens nichts erreicht hatte.«
Ludendorff über Hintze am 29. Sept.:
Der Staatssekretät führte weiterhin aus, daß die Demarche bei der Königin der
Niederlande nicht unternommen und ein
weiterer Friedensschritt nicht eingeleitet sei [ 4].«
Auf was wartete v. Hintze? Ärgerlich, daß die Front hielt. Ärgerlicher noch, daß sich Arbeiter- und Soldatenräte bildeten, um den Sturz von Kaiser und Regierung in die eigene Hand zu nehmen. Benebelt vom 14-Punkte-Programm Wilsons träumte das bürgerliche Lager in der Berliner Politik von einem gerechten Frieden.
Da die Front hielt, mußte die OHL mit ins politische Boot geholt werden. Ludendorff hoffte, daß sich Wilson und die Vereinigten Staaten an die 14 Punkte »in ihrer Ehre gebunden fühlten.« Sofern sich das bestätige, könnten sie als Grundlage von Friedensverhandlungen dienen. »...sollte aber eine Täuschung vorliegen, sollte der Feind den Bogen überspannen, sollten uns auch die feindlichen militärischen Führer die Achtung versagen, die unser mannhaftes Ringen verdiente, dann mußte der Kampf weitergehen... [ 4]«
So absurd Ludendorffs Vorstellung heute erscheint, bevor man sie bewertet,
sollte man einen Blick auf die türkische Geschichte werfen.
Kaiser Wilhelm II. warnte im Juni 1918: [ 5]
Am 29./30. September 1918 begann Hintze mit Zustimmung Hindenburgs und Ludendorffs Waffenstillstandsverhandlungen mit den USA aufzunehmen. Jetzt hatte sich die Verhandlungsposition Deutschlands dermaßen verschlechtert, daß man nicht mehr umhin konnte Wilsons Forderung zum Sturz des Kaisers nachzukommen. Es mußte eine parlamentarische Regierung gebildet werden, was auch Kaiser Wilhelm II., nach einer Unterredung mit Staatssekretär v. Hintze in der irrigen Hoffnung auf einen gerechten Frieden, veranlaßte. Reichskanzler Hertling mußte gehen. Neuer Reichskanzler wurde Max von Baden [ 6] [ 8].
Max von Baden ließ sich von der OHL nicht davon überzeugen, daß der Krieg verloren sei. Die Frühjahrsoffensive 1918 hatte den deutschen Truppen noch einmal erhebliche Geländegewinne gebracht und selbst als die Offensive aufgrund der heftigen Verluste eingestellt werden mußte gelang es Ludendorff durch das geschickte Ausnutzen gegnerischer Schwachstellen weitere Erfolge zu erzielen. Das verstellte Max von Baden den Blick für den tatsächlichen Sachverhalt. Er zog eigene Erkundigungen ein und machte sich damit Hindenburg zum Feind [ 7].
Für Hindenburg ging es darum, sein Ansehen zu wahren, während Ludendorff die militärische Führung des Heeres de facto alleine bestritt. Hindenburg nahm die Gratulationen entgegen und nutzte die Wallfahrten seiner hochkarätigen Anhänger zur Politik. Hindenburg drohte durch Max von Baden für die Niederlage verantwortlich gemacht zu werden. Also drehte er den Spieß um und machte seinerseits die Politiker, denen es nicht gelänge im Reich für Ruhe und Ordnung zu sorgen, für die Niederlage verantwortlich. Die Dolchstoßlegende wurde geboren.
Max von Baden war also genötigt, Friedensverhandlungen aufzunehmen. Der US-amerikanische Präsident Wilson verlangte in seinen drei Noten weiter nichts als den Rüchtritt der Reichswehrführung, das Versetzen der Reichswehr und Marine in einen Zustand, die ihr die Wiederaufnahme von Kampfhandlungen unmöglich mache und die Absetzung der "autokratischen Herrscher".
Für Ludendorff und Hindenburg waren diese Bedingungen unakzeptabel. Sie hegten die Absicht, die Kämpfe verstärkt fortzusetzen, um bessere Waffenstillstandbedingungen zu erreichen und drohten für den Fall, daß der Kaiser dies ablehne, mit Rücktritt.
Der Kaiser selbst wollte dem Frieden nicht im Wege stehen. Wohlwissend, daß sich die Zusagen Wilsons als Schall und Rauch entpuppen würden, verspürte er keine Lust als vorgeschobener Grund für das Nichtzustandekommen von Friedensverhandlungen herhalten zu müssen und unterschrieb eine Verfassungsänderung, die seiner Entmachtung gleichkam. Am selben Tag beantwortete die deutsche Regierung Wilsons Note.
Der Vorwärts schreibt am 27.10.1918:
Der Reichstagsbeschluss für Demokratie.
General Ludendorffs Abschied genehmigt.
Der Reichstag hat gestern in dritter Lesung die freiheitliche Aenderung der Reichsverfassung, entsprechend dem gestern hier wiedergegebenen
Mehrheitsantrag beschlossen.
General Ludendorff hat seinen Abschied eingereicht, der bewilligt worden ist.
Von allen Beschlüssen, die vom Deutschen Reichstag zur freiheitlichen Ausgestaltung unserer Verfassung gefaßt worden sind, ist der gestrige
zweifellos der am tiefsten einschneidende. Durch das Grundgesetz des Reiches ist jetzt ausgesprochen, daß kein Reichskanzler im Amte
bleiben kann, der nicht das Vertrauen des Reichstages besitzt, dieser hat es somit in der Hand, jeden ihm nicht mehr vertrauenswürdigen Kanzler
zu beseitigen und ihn durch einen Mann seines Vertrauens zu ersetzen. Der Kanzler trägt die Verantwortung für alle Handlungen
von politischer Bedeutung die der Kaiser vornimmt. Die Ernennung und Verabschiedung von Offizieren jeden Grades, vom Leutnant bis zum Feldmarschall,
kann künftig nur unter Verantwortung der parlamentarischen Regierung erfolgen, in deren Hand somit die volle politische Macht liegt.
Daß weder Kriegserklärungen noch Friedensverhandlungen geschlossen werden können ohne die Zustimmung des Reichstags, ist nur eine
selbstverständliche Folge dieser grundstürzenden Aenderung.
Der Kaiser nahm Ludendorffs Rücktritt an. Daß der Rittergutsbesitzer Paul von Hindenburg sein Schicksal nicht an das eines Erich Ludendorffs knüpfte, kam in Ludendorffs Augen einem Verrat gleich. Zum Nachfolger Ludendorffs wurde Groener bestellt [ 9].
Hindenburg blieb, Groener blieb. Mit dabei war Groeners Freund aus der Roten Bude (Eisenbahnamt) Major Kurt von Schleicher. Auf der politischen Bühne sollte sich der Sozialdemokrat Ebert in Szene setzen.
Am 9. November 1918 verkündet Max von Baden die Abdankung des Kaisers und überträgt Friedrich Ebert das Amt des Reichskanzlers. Nahezu zeitgleich drängt v. Hindenburg Kaiser Wilhelm II. mit der Lüge ins Exil: meuternde Truppen befänden sich im Anmarsch auf das Kaiserliche Hauptquartier in Spaa, die Sicherungstruppen der 2. Gardeinfanteriedivision von Generalleutnant von Friedeburg hätten sich großteils den revoltierenden Soldaten angeschlossen und es sei zu befürchten, daß der Kaiser gelyncht würde [10].
Am 10. November 1918 ging Kaiser Wilhelm II. ins Exil, sein Feldmarschall von Hindenburg sendete am selben Tag an die Kommandierenden der Heeresgruppen ein Telegramm: »Es kann bekannt gegeben werden, daß die OHL (Oberste Heeresleitung) mit dem Reichskanzler Ebert, dem bisherigen Führer der gemäßigten sozialdemokratischen Partei, zusammengehen will, um die Ausbreitung des terroristischen Bolschewismus in Deutschland zu verhindern [11].«
Im Juli 1920 zog Carl Duisberg das Bilanz [12]:
»Der Kaiser und die Junker erlitten eine Niederlage, aber die deutsche Industrie gewann. Unsere Lage ist heute besser als irgendwann.«
Das alte Heer, die neue Reichswehr half durch Gewalt und Agitation den terroristischen Bolschwismus zu verhindern. Einer ihrer Agitatoren war ein Gefreiter namens Adolf Hitler [13].
Anmerkungen:
Zur Erläuterung der Begriffe Ehre, Sitte und angelsächsische Herrenrasse:
Frei nach Hegel: Sitte ist gleichbedeutend mit moralischem Handeln, wobei die Moral (demzufolge auch die Sitten) Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses ist.
Der Begriff der Ehre erschließt sich aus dem Kontext, der auf den Punkt gebracht hieße: Ehre die Sitte ("Entweder soll... Recht, Freiheit, Ehre und Sitte - in Ehre bleiben oder...")
Unter Rasse ist hier Klasse oder Gruppe zu verstehen, was sich ebenfalls aus dem Kontext ergibt - "dem Götzendienst des Geldes verfallen" - der mithin nicht auf einen biologischen Determinismus abstellt. Nebenbei bemerkt: Die Hälfte der Gene Wilhelms II. - August Weismann sprach 1904 von der Vererbungssubstanz - kamen aus England. Dem Kaiser dürfte das nicht verborgen geblieben sein.
Kaiser Wilhelm II. sagte mithin im Kern nichts anderes, als daß die kulturelle Entwicklung in Deutschland nicht dem Diktat der angelsächsischen Banken anheim fallen dürfe.
Quellen:
[ 1] Ludendorff, Erich, Meine Kriegserinnerungen 1914-1918, Berlin 1919, S. 551
[ 2] ebd. S. 552
[ 3] ebd. S. 553
[ 4] ebd. S. 581
[ 5] Mommsen, Wolfgang J., War der Kaiser an allem schuld? München 2005 S. 250f
[ 6] Stegemanns, Hermann, Geschichte des Krieges Bnd. 4, Stuttgart/Berlin 1921, S. 636f
[ 7] Pyta, Wolfram, Hindenburg. München 2007 S. 338
[ 8] Mommsen a.a.O. S. 252f
[ 9] Pyta, Wolfram, a.a.O. S. 343ff
[10] ebd. 425ff
[11] Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.
Reihe II
Bd.2 Dok. 147, S. 357 Berlin 1957
[12] Zit. in Feingar, J. M., Die Entwicklung des deutschen Monopolkapitals, Berlin 1959, S. 95
[13] Thamer, Ulrich, Der Nationalsozialismus. Stuttgart 2002 S.32