Während des Krieges, aber auch schon zuvor, rivalisierten diverse Interessengruppen um die Macht im Staate. Dies waren der Reichstag, die Regierung, das Militär und Kaiser Wilhelm II. Katastrophal war der gegensatz von Militär und Regierung. Die Regierung blockierte die schärfste Waffe des Landes, den uneingeschränkten Einsatz der Uboote. Dem entgegengerichtet war die Etablierung einer Kriegswirtschaft, d.h. einer sich an den militärischen Vorgaben ausrichtenden Wirtschaft. Der Deutsche Kaiser, formell Oberbefehlshaber der deutschen Streitmacht, überließ das Feld seinen Generälen. Von der Regierung wie vom Heer weitgehend desinformiert und von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, stützte er sich auf sein Zivilkabinett und verfolgte sein ureigenstes Interesse, den Erhalt der Dynastie. Hierfür suchte er Unterstützung dort, wo sie noch am ehesten zu finden war: in der Bevölkerung.
In Rußland wurde im Februar 1917 der Zar gestürzt. Die nun bürgerliche Regierung in Rußland gedachte den Krieg fortzusetzen. Dagegen propagierten die Bolschewiki den sofortigen Frieden. Es kam teilweise zu spontanen Feuereinstellungen und auch aufgrund der Propaganda deutscher und russischer Kriegsgegener sogar zu Verbrüderungsszenen über die Schützengräben hinweg [ 1].
Auf der Kriegszielkonferenz in Bad Kreuznach am 23. April 1917 wurden die deutschen Kriegsziele definiert. Der Rittergutsbesitzer von Hindenburg erhoffte sich durch die Anbindung der baltischen Staaten, in denen sich eine große Anzahl landwirtschaftlicher Güter im Besitz der deutschstämmigen Bevölkerung befand eine Stärkung der Machtposition des Landadels in Deutschland. Er neigte zeitweise dazu Livland und Estland über eine Personalunion mit Preußen zu verbinden. Der Staatssekretär Kühlmann stritt in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem US-amerikanischen Präsidenten Wilson für die politische Unabhängigkeit dieser Staaten. Erzberger versprach dagegen den Großherzogsthron der baltischen Staaten Württembergern und Mecklenburgern [ 2].
Annexionen im Westen sollten den Interessen der deutschen Industrie dienen. Zudem war eine Erweiterung des deutschen Kolonialgebietes in Afrika geplant [ 3]. Diese und andere Debatten und Forderungen waren heftigst umstritten. Der Leiter des Kaiserlichen Zivilkabinettes Valentini bezeichnete diese Konferenz als »kindisch« [ 4]. Eine Einigung wurde nicht erzielt. Anzumerken ist, daß auch in den Staaten der Entente Kriegsziele bestimmt wurden. Aus dem Schreiben des russischen Außenministers vom 14.2.1917 an den französischen Botschafter geht dieser auf die französischen Wünsche hinsichtlich russisch-deutscher Friedensverhandlungen ein. Frankreich fordert: »Elsaß-Lothringen wird an Frankreich zurückgegeben... wobei die strategischen Notwendigkeiten berücksichtigt werden müssen, damit das ganze Eisenerzrevier Lothringens und das ganze Kohlenbecken des Saarreviers dem französischen Territorium einverleibt wird... Die linksrheinischen Gebiete, die dem Bestand des französischen Territoriums nicht einverleibt werden, sollen ein autonomes und neutrales Staatswesen bilden [ 5].«
Der Regierung des Deutschen Reiches kamen dies und andere Dokumente schon vor Kriegsende zur Kenntnis. Der Inhalt des Versailler Vertrages - der an Dummheit und Größenwahn die von deutschen formulierten Kriegsziele übertraf, war also vorherzusehen.
Da nach dem Waffenstillstand im Osten Truppen frei wurden, Friedensverhandlungen mit den USA gescheitert waren, setzte Ludendorff alles auf eine Karte, um noch vor dem Eintreffen US-amerikanischer Truppen eine Entscheidung im Westen herbeizuführen. Gegen England wurde vom Kaiser der unbeschränkte U-Bootkrieg befohlen. Die Seekriegsleitung versprach, ein uneingeschränkter U-Bootkrieg würde England binnen sechs Monaten zur Kapitulation zwingen.
Nach Berufung Hindenburgs und Ludendorffs in die Oberste Heeresleitung begannen diese damit politische wie militärische Schlüsselpositionen mit ihnen ergebenen Personen zu besetzen. Kriegsminister Wild von Hohenborn mußte gehen, General Groener nahm seinen Platz ein. Nun intrigierten Hindenburg und Ludendorff in der Absicht das Hindenburgprogramm durchzusetzen gegen den Reichkanzler Bethmann Hollweg [ 6]. Unterstützung erfuhren sie durch den Kronprinzen Wilhelm, Erzberger und Scheidemann. Am 6. Juli 1917 forderte Erzberger im Reichstag einen Verständigungsfrieden. Eine Woche später ließ Scheidemann im Vorwärts eine interfraktionell von Zentrum und SPD getragene »Friedenserklärung« veröffentlichen.
Bethmann-Hollweg war gegen diese Friedenserklärung, die er in anderer Form bei Kriegsbeginn vermutlich begrüßt hätte, die aber nun, da die Waffen Politik ersetzten, Deutschlands Position schwächte. Bethmann Hollweg lehnte auch das Hindenburgprogramm ab, das die innenpolitische Situation weiter destabilisiert haben würde. Kaiser und Kanzler blieben bestrebt um die Unterstützung der Bevölkerung zu werben.
Im Winter 1914 machte der Kaiser einen Frontbesuch. Die Bereitschaft der Soldaten trotz der unverkennbar harten Kriegsbedingungen für ihr Land mit dem Leben einzustehen, nötigten dem Kaiser jenen Respekt ab, der ihn veranlaßte Herrn von Loebell über von Valentini mit der Ausarbeitung einer Wahlrechtsreform zu beauftragen. Am 7. April 1917 verkündet Kaiser Wilhelm II.: »Nach den gewaltigen Leistungen des ganzen Volkes in diesem furchtbaren Kriege ist nach meiner Überzeugung für das Klassenwahlrecht in Preußen kein Raum mehr [ 7].«
Ludendorff hatte am 12. Juli 1917 den Kaiser in seinem Rücktrittsgesuch vor ein Ultimatum gestellt: »Euer Majestät wissen, daß es für mich als verantwortliches Mitglied der Obersten Heeresleitung unmöglich ist, zu dem Reichskanzler das Vertrauen zu haben, das als Grundlage für eine nützliche Zusammenarbeit zwischen dem Reichskanzler und der Obersten Heeresleitung zur glückliche Beendigung des Krieges unerläßlich ist, nachdem der Krieg nicht mehr allein auf kriegerischem Gebiet ausgefochten werden kann [ 8].« Auch Hindenburg drohte mit Rücktritt.
Kaiser Wilhelm II. entschied sich für Bethmann Hollweg. Bethmann Hollweg ließ den Kaiser in dieser Situation alleine und erklärte, ohne das Vertrauen der Obersten Heeresleitung sein Amt nicht weiterführen zu können [ 9]. Nach dem Rücktritt von Bethmann Hollweg erfuhr der Kaiser durch v. Loebell, daß der Reichskanzler den Vorschlag von Wilhelm II. zur Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts zwei Jahre lang in seinem Schreibtisch unter Verschluß gehalten hatte, ohne sie den Ministern zur Kenntnis gebracht zu haben [10]. Würde eine rasche Veröffentlichung der Wahlrechtsreform die Position des Kaisers wie des Kanzlers selbst gefestigt haben, so erschien sie nun, nach dem bisher härtesten Hungerwinter in einer sozial angespannten Lage unglaubwürdig.
Analog zu Frankreich suchten Hindenburg und Ludendorff die angespannte personelle und materielle Lage zu verbessern, indem nicht einberufene Männer zwischen 17 und 60 Jahren sowie in Ausnahmefällen auch Frauen zu Hilfsdiensten in Wehrwirtschaft oder Verwaltung herangezogen werden sollten.
Im Gegensatz zum französischen Vorbild nutzten jedoch die Sozialdemokraten die Ausgestaltung des am 5. Dez. 1916 verabschiedeten Gesetzes »über den vaterländischen Hilfsdienst« dazu, mehr Rechte in Betrieb und Gesellschaft zu erlangen, da Bethmann Hollweg den sozialdemokratischen Gewerkschaften und den Betriebsräten eine Schlüsselrolle in der Umsetzung des Gesetzes beimaß [11]. Das Wort vom Kriegssozialismus macht die Runde [12] [13].
Ein weiteres Opfer war der Leiter des Kaiserlichen Zivilkabinettes Valentini. Valentini rechtfertigte das Vertrauen, das Kaiser Wilhelm II. in ihn setzte. Hindenburg warf Valentini »stark links gefärbte Tendenzen« vor. Trotz mehrfacher heftiger Auseinandersetzungen in deren Verlauf Hindenburg mit einem Herzanfall und Ludendorff mit Selbstmorddrohungen operierten hielt Kaiser Wilhelm II. an Valentini fest. Da der Kaiser nicht umzustimmen war, nötigte man Valentini zum Rücktrittsgesuch, dem der Kaiser stattgab [14].
Quellen:
[ 1] Geschichte der UdSSR Band 1, Köln 1977, S. 377ff
[ 2] Pyta, Wolfram, Hindenburg. München 2007 S. 316
[ 3] Große-Geldermann, Jan, Die Rolle der OHL beim Sturz Bethmann-Hollwegs.
Norderstedt 2005 S. 18
[ 4] Mommsen, Wolfgang J.,
War der Kaiser an allem schuld? München 2005 S. 244
[ 5] Auswärtiges Amt, Dokumente aus den russischen Geheimarchiven, Berlin 1918 S. 92f
[ 6] Große-Geldermann, Jan, a.a.O. S. 13
[ 7] Mommsen, Wolfgang J., a.a.O. S. 242
[ 8] zitiert nach Große-Geldermann, Jan, a.a.O. S. 14
[ 9] Mommsen, Wolfgang J., a.a.O. S. 246
[10] Wilhelm II., The Kaiser's Memoirs. New York und London 1922 S. 138
[11] Gesetzestext: http://1000dok.digitale-sammlungen.de/dok_0001_hil.pdf 03.11.2012
[12] Ludendorff, Erich, Kriegsführung und Politik, Berlin 1922 S. 121ff
[13] http://www.wirtschaftslexikon24.com 03.11.2012
[14] Pyta, Wolfram, a.a.O. S. 310