1908 hätte Kaiser Wilhelm II. sein 20 jähriges Jubiläum feiern können. Daß dieses Jahr nicht im Dienste der Popularität des Kaisers stand und damit zur Festigung seiner Herrschaft beitrug verdankte Wilhelm einer zu 95% in Deutschland losgetretenen Schlammschlacht um ein fiktives, aus den Inhalten eines Gespräches des Kaisers mit Edward Stuart-Wortley vom Herbst 1907 zusammengestelltes Interview. Dies Interview wurde am 28.10.1908 im Daily Telegraph veröffentlicht.
Wilhelm II. ließ vor der Veröffentlichung den Text durch Herrn von Jensch, einem Vertreter des Auswärtigen Amtes, Reichskanzler Bülow zukommen [1]. Bülow ließ den Text in der Hoffnung, daß er zur Verbesserung des deutsch-englischen Verhältnisses beitrüge, passieren. »In England wurde das Interview keineswegs besonders kritisch aufgenommen [2].« Anders aber in Deutschland: »In dem Maße, wie sich die gebildeten Schichten und das Wirtschaftsbürgertum für eine nationalistische Weltpolitik begeisterten, steigerte sich auch die Sensibilität für angebliche oder wirkliche Beeinträchtigungen der imperialistischen Zukunftschancen des Deutschen Reiches [3].« Im imperialistischen Wahn wollte man sich nicht vom Kaiser ins Handwerk pfuschen lassen.
Inhalt des Interviews waren Flottenpolitik, Burenkrieg und Marokkokrise. Die Flotte werde als Schlachtflotte konzipiert, d.h. ihre Aufgabe war es die Vereinigung der französischen unnd russischen Flotte zu verhindern, was auch im Interesse Großbritanniens lag. Der Kaiser stellte sich im Burenkrieg auf die britische Seite, vermied es aber die Dummheit des Deutschen Außenministeriums ohne Wissen des Kaisers aber in seinem Namen den Buren zu ihren Siegen zu gratulieren, zu benennen. Daß sein Besuch in Fes gegen den eigenen Willen und nur auf Drängen seiner Berater erfolgte, verschwieg er, benannte aber legitime deutsche Interessen bezüglich Marokko [4].
In Deutschland wurde die Abdankung des Kaisers gefordert oder eine Beschneidung seiner Aufgaben und Rechte. Ernst Bassermann, Führer der Nationalliberalen Partei gab die Parole aus: »Alles für Bülow gegen Kaiser [5].«
Reichskanzler Bülow, der sich seiner Geschicklichkeit, den Kaiser zu lenken, hinter vorgehaltener Hand, rühmte, scheute den Konflikt und ließ den Kaiser im Regen stehen [10]. Das Hochgefühl selbst, das die gegen den Kaiser Wilhelm II. erzielte Einigkeit bei einzelnen hervorrief, disqualifiziert sie als Mensch und Politiker. Es wundert daher nicht, daß Parlament und Regierung obzwar einig gegen den Kaiser unfähig zur Verfassungsreform waren.
Als die Daily Telegraph Affäre hochgekocht wurde, fand Wilhelm II., der gerade seinen Freund Graf Hülsen-Haeseler, den Chef seines Militärkabinettes, sterben sah [6], an den aufgedrängten, windigen Debatten keinen Gefallen. Die Beziehung zu Bülow blieb zerrüttet.
Im Zusammenhang mit der Daily Telegraph Affäre wird das Hale Interview von Juli 1908 gebracht, das im Dezember in den USA im Century veröffentlicht werden sollte [7]. William Bayard Hale gehörte dem Unterstützerkreis Woodrow Wilsons an [8][9].
Wilson benutzte die Neutralität der USA im I. Weltkrieg zur Neutralisierung der Deutschen U-Bootflotte. Während er in Zeiten der Neutralität aktiv die Briten aufrüstete unterstützte er die britische Hungerblockade durch Handelssanktionen gegen Deutschland.
Quellen:
[ 1] Mommsen, Wolfgang J., War der Kaiser an allem schuld?, 2002 S. 118
[ 2] ebd.: S. 145
[ 3] ebd.: S. 144
[ 4] www.wikipedia.de zur Daily Telegraph Affäre 2008
[ 5] Mommsen a.a.O. S. 146
[ 6] Wilhelm II., The Kaiser's Memoirs, New York, London, 1922 S. 119
[ 7] Deutsche Geschichte 6/2008 S. 53
[ 8] www.wikipedia.org zu William Bayard Hale 2008
[ 9] Wilson, Woodrow, The New Freedom, Gutenberg EBook 2005
[10] Mommsen, Wolfgang J., Der erste Weltkrieg, Frankfurt/Main 2004 S. 73