Zur deutschen Geschichte
 
Die Ruhrbesetzung 1923 - Teil 1

Die Ruhrbesetzung 1923 - Teil 1

Die Vorgeschichte

Deutschland wird aufgrund der ungedeckten Kriegsausgaben und der Reparationsauflagen von einer galoppierenden Inflation heimgesucht. Die Reparationszahlungen in Goldmark können nicht mehr aufgebracht werden. Die Steinkohlelieferungen nach Frankreich geraten in Verzug. 1922 wurden Holz und Kohle im Wert von 24 Mio. Goldmark nach Frankreich geliefert. 1,6% weniger als gefordert. Das genüg Frankreich und Belgien als Begründung am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet zu besetzen [01].

Nun endete die Ruhrbesetzung nicht so wie von Frankreich und den deutschen Kohlebaronen gewünscht. Auch der gewaltlose Widerstand der Bevölkerung ist nicht viel mehr als gefällige Folklore. Ein Held der Veranstaltung ist der böse Hjalmar Schacht, seinerzeit Reichsbankpräsident. Sein Freund Montagu Normann Chef der englischen Notenbank führte die entscheidenden Schläge gegen das verbündete Frankreich, zum Wohle Großbritanniens. Den finalen Schlag gegen Frankreich setzten die USA. Der amerikanische Bankier Dawes stellte bereits im Januar 1923 fest, daß der Verlauf der Ruhrbesetzung Frankreich und Deutschland zur Zustimmunge zu einem anderen Verfahren zur Regelung der Reparationsleistungen veranlassen werde [02]. Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (nach einer Idee von Schacht und Normann) erhielt die Kontrolle über die vor allem an Frankreich zu leistenden Reparationen.

Die Details geben Aufschluß über den vollen Grad des damals herrschenden Irrsinns, den zu begreifen uns beim Begreifen der Gegenwart dienlich sein könnte.

Die einen starben die anderen erwarben.

Der Krieg war verloren, Die neue deutsche Regierung entschädigte die deutsche Großindustrie für die verlorenen Betriebe mit 750 Mio. Goldmark. Die mit Steuergeldern errichteten Rüstungsbetriebe wurden von den Herren des Kapitals eingkassiert und die Bestände der Kriegsrohstoffgesellschaften eingesackt. Die deutschen Unternehmen in Elsaß-Lothringen wurden französischen Gesellschaften für 2,5 Milliarden Goldmark verkauft. Allein Hugo Stinnes vermochte es dank der Inflation bis 1923 2890 Betriebe zu erwerben und wurde mithin zu einem der wichtigsten Protagonisten der Ruhrescapaden [03].

Noch vor Abschluß des Versailer Vertrages ließ Thyssen Minister Dr. Bell wissen, was zu tun sei: Man sollte die „von den Feinden sequestierten und zur Liquidation vorgesehenen deutschen Unternehmungen“ durch ein internationales Finanzkonsortium übernehmen und zu Gesellschaften zusammenschließen, „an welchen unsere Feinde und die Vorbesitzer mit je zur Hälfte beteiligt“ wären [04].

Brüning: „Die französische Regierung hat damals, wie noch in den Jahren 1930 und 1932, Angebote der deutschen Regierung auf eime freie Zusammenarbeit der deutschen und französischen Schwerindustrie abgelehnt [05].” Frankreich wollte mehr.

Frechheit siegt.

Am 7. Februar 1919 überreichte der französische Wiederaufbauminister im Kabinett Clémencau dem Zehnerrat einen Bericht die „Einrichtung absoluter Kontrolle über das sich östlich des Rheins und in einer durchschnittlichen Tiefe von ungefähr 50 km von Köln bis 15 km nordöstlich Duisburg erstreckende Gebiet, durch militärische Okkupation in einer Weise, um Essen und die hauptsächlichen Kruppschen Betriebe, den größten Teil der rheinisch-westfälischen Kohlenfelder und die von diesen abhängige Metallindustrie zu umfassen [06].“

Artikel 18 des französischen Entwurfes des Versailler Vertrages besagt:

»1. Besetzung von deutschen Territorien und deutschen strategischen Punkten, bezeichnet in einer Spezialkonvention.«

In der Spezialkonvention wurde hierfür das Ruhrgebiet vorgesehen.

Frankreich vermochte es jedoch nicht, sich in diesem Punkt gegen seine Verbündeten durchzusetzen, was es nicht davon abhielt, dieses Ziel gleich mithilfe welcher Regierung weiter zu verfolgen.

Keine halben Sachen.

Seit der Angliederung Elsaß-Lothringens an das Deutschen Reich, beklagte Frankreich, die damit einhergegangene Ungerechtigkeit. Und weil es in der Welt gerecht zugehen müsse, wurde Elsaß-Lothringen ein knappes halbes Jahrhundert später, von Frankreich zurückgefordert? „Zweck... war... die Besitzergreifung des Herzstückes der deutschen Industrie, entsprungen aus der Idee des Wirtschaftsimperialismus, der mit dem Versailler Vertrag mehr und mehr das Leitmotiv der französischen Politik geworden war [07].”

»Durch den Vertrag von Versailles hat Frankreich Lothringen, eine der an Eisenerz reichsten Gegenden Europas, zurückerhalten... Die französischen Hüttenbesitzer sind nun die Herren dieses Reichtums. Seit der Erfindung der Thomasschen Retorte, die zur Verarbeitung der Minette (des lothringischen Erzes) dient, hatten die Deutschen in Lothringen die größten Hochöfen und die schönsten Stahlwerke der Welt errichtet... " Die neuen französischen Eigentümer quo;werden aus dem Boden Lothringens jährlich 40 Millionen Tonnen Erz ziehen können, die sie in nahezu 10 Millionn Tonnen Guß umwandeln, was sie zu den ersten Eisenerzeugern des Kontinents machen wird. Aber zu dem fehlt ihnen noch etwas, der Brennstoff, den die Hochöfen überreichlich verschlingen, der Koks... Im Jahre 1913 lieferten die französischen Kokswerke 4 Millionen (Tonnen Koks)... Es braucht davon Millionen mehr zum Unterhalt der lothringischen Öfen! Wo suchen? So nah als nur möglich: in dem Ruhrgebiet [08]«

Frankreich selbst vermochte es nicht die zum Unterhalt der Lothringischen Hochöfen erforderlichen Koks- und Kohlemengen aufzubringen. Da es sich nicht vermeiden ließ, die deutschen Stahlunternehmen für die in Lothringen verlorenen Betriebe zu entschädigen, das Geld aber zur Errichtung neuer Betriebe genutzt wurden, um der französischen Stahlindustrie noch bevor diese Tritt zu fassen vermochte, das Geschäft zu verderben. Frankreich fehlte nicht nur die Kohle sondern es fehlte auch an der Infrastruktur, die erforderlichen Kohlemengen zu transportieren.

Monsieur Schneider, Oberleiter der Creusotwerke, Administrator der Bank L'Union Parisienne und des Credit Lyonnaise forderte in der französischen Hüttenkommission die Besetzung des Ruhrgebietes [09]. Und so versuchte Clémencau schon am 24. Juni 1919 unter dem Vorwand Genugtuung für die Selbstversenkung der deutschen Kriegsschiffe in Scapa Flow, der Verbrennung einer französischen Fahne in Berlin und angeblicher deutscher Intrigen in Polen Essen zu besetzen [10].

Bevor der Versailler Vertrages am 10. Januar 1920 inkraft trat, bestanden die deutschen Reparationsleistungen darin, Handelsschiffe abzugeben, Kohle zu liefern und den Verzicht auf die deutschen Vermögenswerte im feindlichen Ausland zu erklären.

Vom 10. Januar an mußten Geldzahlungen geleistet werden, die Höhe der Zahlungen sollten in auf einer Konferenz in Spa festgesetzt werden. Die Konferenz begann am 5. Juli 1920. Deutschland hatte die verabredete Kohlemenge nicht geliefert. Streiks und Überschwemmungen hatten das verhindert. Eine neue Quote wurde festgesetzt: Deutschland hatte in den nächsten sechs Monaten 12 Mio. Tonnen Kohle zu liefern. Die Reduzierung der Streitkräfte auf 100 000 Mann war ebenfalls noch nicht vollständigt erfolgt. Deutschland erhielt eine Galgenfrist von einem halben Jahr [11].

Das eigentliche Thema der Konferenz, Regelung der Geldzahlungen, wurde kaum behandelt und nicht geklärt. Frankreich hatte kein Interesse an einer Lösung der Reparationsfrage. Brüning: „Die Lieferungen von Eisen und Stahl auf Reparationskonte hatten schon zu einer Übersättigung des französischen Maktes geführt und zu einem Mangel in Deutschland [12].“

Am 15. Juli 1920 erklären die Alliierten [13]:

»Falls am 15 November 1920 festgestellt werden sollte, daß die Gesamtlieferungen für August, September und Oktober 6 Mio. Tonnen nicht erreicht haben, würden die Alliierten zur Besetzung eines neuen Teils des deutschen Gebietes oder irgendeines anderen schreiten.«

Die in Deutschlad geführte Debatte, ob man dem Vertrag von Spa zustimmen solle oder nicht, führte zu nichts. Vernünftig aber genauso illusorisch war die Vorstellung der Sozialdemokraten, die Kohle- und Stahlindustrie zu sozialisieren. Das hätte zwar den Frieden sicherer gemacht - sofern abhängig von Deutschland - den Herren der Konzerne, die durch Kriege ihren Lebenserhalt sichern aber nicht gefallen. Die Alliierten würden ebenso keine Freude daran gefunden haben, wenn der Übernahme der deutsche Schwerindustrie ein Riegel vorgeschoben worden wäre [14].

Es bedurfte eines weiteren Weltkrieges um in der deutschen Schwerindustrie wenigstens eine paritätische Mitbestimmung durchzusetzen.

Kundschafter der Sieger - Allianz der Verlierer.

Frankreich intensivierte 1921 seine Agententätigkeit an der Ruhr und britische Agenten taten es ihnen gleich. Ziel der Aufklärung: Erkundung der politischen Stimmung; Ausfindigmachung der politischen Führer von denen zu erwarten sei, daß sie gegen eine mögliche Ruhrbesetzung eingestellt wären; sozialdemokratische Arbeiterführer durch Bestechung neutralisieren; Informationen über Polizei- und Reichswehreinheiten sammeln [15].

Verloren haben im vorangegangenen Krieg die einfachen Menschen. Auf dem III. Weltkongreß der Kommunistische Internationale verkündete die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) „die Raubzüge der französischen Imperialisten entschieden zu bekämpfen und unter den im Rheinland eingesetzten Besatzungssoldaten aufklärend zu wirken [16].” Französische und deutsche Kommunisten begannen auch auf lokaler Ebene zusammenzuarbeiten.

zum Anfang

Frankreich treibt - England bremst - ein wenig.

Anfang 1921 stand die französische Armee bereit, sich als Gerichtsvollzieher im Ruhrgebiet zu betätigen. Die deutsche Regierung erfuhr von den Absichten durch die Zeitung. Lloyd George lud zu einer Konferenz nach London, um der deutschen Seite Gelegenheit zu geben, ihre Einwände vorzubringen. Die Konferenz startete am 1. März und am 3. März erklärte der englische Premierminister Lloyd George:

„Wenn wir nicht bis Montag (7. März) hören, daß Deutschland bereit ist, die Pariser Beschlüsse anzunehmen, so wird man von diesem Zeitpunkt ab aufgrund des Friedensvertrages folgendermaßen vorgehen: Die Alliierten sind übereingekommen, erstens die Städte Duisburg-Ruhrort und Düsseldorf auf dem rechten Rheinufer zu besetzen....”

Die deutschen Gegenvorschläge wurden kuzerhand zurückgewiesen und die Konferenz abgebrochen. Am 8. März wurden Duisburg-Ruhrort und Düsseldorf von französischen und belgischen Soldaten besetzt. Kurz darauf äußert Frankreich die Absicht, weitere Gebiete zu besetzen [17].

Von dem Erfolg ermutigt ging denn auch Frankreich einen Schritt weiter. Foch und Loucheur legten schon am 15.April 1921 vor wie die Ausdehnung des Besatzungsgebietes und auf welcher Weise mit den so gewonnenen Kohlebergwerken und Industriebetrieben verfahren werden sollte [18]. Es schien angesichts möglicher Arbeitsverweigerungen besser die Betriebe nicht in die Hände der Verbündeten zu spielen, sondern sie im Besitz ihrer Eigentümer zu belassen (der Eigentümer haftet für die Arbeitsbereitschaft seiner Arbeiter) die allerdings der vollständigen Kontrolle durch die Besatzer unterliegen sollten.

Lloyd George plädierte dafür, Deutschland ein Ultimatum zu stellen, das Pariser Abkommen zu erfüllen oder die Besetzung der Ruhr zu riskieren. Am 1. Mai startete die zweite Londoner Konferenz auf der Deutschland eine Entschädigung von 200 Goldmilliarden anbot. Zu wenig.

Das Ultimatum wurde Deutschland am 5. Mai überreicht. Die deutsche Regierung Fehrenbach machte der Regierung Wirth Platz. Der Reichstag beschloß mit den Stimmen von SPD und Zentrum die Annahme des Ultimatums. die Kommunisten, die DVP, Deutschnationale und Bayrische Volkspartei stimmten dagegen.

Reichskanzler Joseph Wirth (Zentrum) ließ den Alliierten folgende Mitteilung übermitteln [19]:

Auf Grund des Beschlusses des Reichstages bin ich beauftragt, mit Beziehung auf die Entschließung der alliierten Mächte vom 5. Mai 1921 namens der neuen deutschen Regierung folgendes, wie verlangt, zu erklären:
 
Die deutsche Regierung ist entschlossen:
1. Ohne Vorbehalt oder Bedingung die Verpflichtungen, wie sie von der Reparationskommission festgestellt sind, zu erfüllen.
2. Ohne Vorbehalt oder Bedingung die von der Reparationskommission hinsichtlich dieser Verpflichtungen vorgeschriebenen Garantiemaßnahmen anzunehmen und zu verwirklichen.
3. Ohne Vorbehalt oder Bedingung die die Maßnahmen zur Abrüstung zu Land, zu Wasser und in der Luft auszuführen, die in der Note der alliierten Mächte vom 29. Januar notifiziert worden sind, wobei die rückständigen sofort und die übrigen in den vorgeschriebenen Zeiten auszuführen sind.
4. Ohne Vorbehalt oder Bedingung die die Aburteilung der Kriegsbeschuldigten durchzuführen und die übrigen unerfüllten, im ersten Teile der Note der alliierten Regierungen vom 5. Mai erwähnten Vertragsbestimmungen auszuführen.

 
Ich bitte, die alliierten Mächte von dieser Erklärung unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
 

Wirth.

England weigerte sich, die Besetzung des gesamten Ruhrgebietes mitzutragen. Der französische Premierminister Briand schien nicht von geeigneter Statur sich gegen Lloyd George durchzusetzen.

Am 13. Januar 1922 wurde Briand von Raymond Poincaré abgelöst. Mit Poincaré an der Spitze Frankreichs endeten dann auch die französisch-britischen Gemeinsamkeiten. Lloyd George kam mit dem Franzosen in keinster Weise zurecht. Die Franzosen zogen ihre Truppen von den Dardanellen ab [20] .

Die 1922 von deutschen und französischen Schwerindustriellen geführten Verhandlungen zur Fusion ihrer Unternehmen scheiterten: Stinnes: „Wir können nicht mit Loucheur einen Konzern bilden, in dem Loucheur 60 Prozent und Stinnes 40 Prozent besäße [21]”.

Der Franzose Antoine Kerr nannte die Ziele, der, auf eine Ruhrbesetzung hinarbeitenden, französischen Schwerindustrie: „...die deutsche Industrie zu lähmen und Frankreich die Eisenherrschaft zu sichern [22].” Das gefiel weder der deutschen Industrie noch Großbritannien. Die Engländer rieten den Deutschen den Weg des passiven Widerstandes einzuschlagen, um die Preise für die britische Steinkohle in die Höhe zu treiben und um den Profit zu steigern [23].

Rapallo.

Am 6. Januar 1922 beschloß die Entente auf ihrer Konferenz in Cannes die Einberufung einer Konferenz in Genua, auf der die Fragen einer wirtschaftlichen Wiederherstellung Mittel und Osteuropas angesprochen werden sollten. Eingeladen wurden 34 Staaten, darunter Deutschand und Sowjetrußland [24]. Konkret: Rußland sollte in den Reparationsprozeß einbezogen werden und Großbritannien wollte eine Entschädigung für die enteigneten englischen Betriebe. Rußland setzte auf eine bilaterale Lösung mit Deutschland.

Der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten G. W. Tschitscherin bekräftigte den Willen Rußlands mit allen Ländern an der wirtschaftlichen Wiederherstellung Europas zusammenarbeiten und Vorschläge zur Abrüstung und zm Verbot der barbarischen Mittel der Kriegsführung unterbreiten zu wollen.

Im Namen Frankreichs lehnte Louis Barthou ab, klar, kategorisch und endgültig [25].

Und so kam es, daß sich zwei Staaten wiederfanden und über die Gräber ihrer Toten hinweg die Bereitschaft zu erklären ihre Wirtschafts- und Handelsbeziehungen auf der Grundlage gegenseitigen Vorteils zu erweitern. Am 16. April 1922 wurde der von Tschitscherin und Rathenau ausgearbeitete Rapallo-Vertrag unterzeichnet.

Viscount d'Abernon schrieb am 4. Mai 1922 [26]:
„Reichspräsident Ebert soll sich noch immer nicht mit dem Rapallo-Vertrag abgefunden haben. Er hält den Abschluß für unklug und verfassungswidrig. Man hätte ihn unbedingt zu Rate ziehen sollen...”

Entspannter ging Lloyd George mit dem Rapallo-Vertrag um. Viscount d'Abernon schrieb am 5. Mai 1922 [27]:
„Ich habe heute morgen einen Bericht über die letzte Unterredung zwischen Lloyd George, Rathenau und Wirth aus einer deutschen Quelle bekommen. Der vorherrschende Eindruck dieses Gesprächs war, daß Lloyd George sich nur um die russische Frage kümmere und absolut entschlossen sei, zu irgendeiner Vereinbarung mit den Russen zu gelangen - mit oder ohne Frankreich... Während des ganzen Gespräches fiel nicht ein Wort über den Rapallo-Vertrag; der Zorn darüber scheint verflogen zu sein.”

Am 24. Juni 1922 wurde der deutsche Außenminister Walther Rathenau erschossen. Der Vertrag von Rapallo hatte bis 1933 Bestand.

Kurt von Schleicher, der dem Vertrag 1932 neues Leben einzuhauchen versuchte, wurde am 30. Juni 1934 auf Befehl Hitlers erschossen.

Frankreich: Gier frißt Hirn - Lloyd George signalisiert FullStop.

„Nun muß man nicht aus den Augen lassen, daß, wenn die Staaten - hauptsächlich Frankreich und Belgien - durch den Krieg verschuldet sind, so sind es die Staatskassen die leer sind. Im Gegenteil aber haben sich die Privatvermögen erhöht. Man hat festgestellt, daß in Frankreich während des Krieges ein Vermögenszuwachs von 70 Milliarden sich verwirklicht hat. In Belgien hat man die Zahl von 8 Milliarden angeführt! [28]

Anfang Mai 1922 wurde Louis Adrien Dariac von der französischen Regierung ins Rheinland geschickt [29] und damit beauftragt einen geheim zu haltenden Bericht zu erarbeiten, Darin schrieb Dariac [30]:

Wir können nicht von Deutschland verlangen, 35 Jahre lang ungeheure Summen zu bezahlen, wenn wir auf der andern Seite Furcht haben zu sehen, daß sich seine Industrien in einer Weise entwickeln, die es ihm erlaubt, seinen Schuldverpflichtungen nachzukommen. Aber sobald wir auf dem rechten Rheinufer Fuße gefaßt haben und über 45 Mio. Tonnen Erz pro Jahr verfügen werden, werden wir in der Lage sein, eine entscheidende Rolle in der deutschen Eisenindustrie zu spielen wobei wir als Gegenleistung eine Kontrolle seiner Produktion verlangen werden.
 
Der erste Akt dieser Politik ist die finanzielle Organisation der Rheinlande...
Der zweite Akt ist die Ersetzung der preußischen durch rheinische Beamte.
Der dritte Akt ist die Erörterung der Machtbefugnisse der Hohen Kommission und die Einberufung einer gewählten Körperschaft.
 
...eine geschickte Diplomatie... nach und nach ein freies, unter der militärischen Obhut Frankreichs und Belgiens stehendes Rheinland von Deutschland loszulösen.

So Frankreichs Pläne im Mai 1922. Vom 10. April bis 19. Mai 1922 fand die Konferenz von Genua statt. Am 12 Juli 1922 erklärte sich Deutschland für zahlungsunfähig und beantragte die Gewährung eines Moratoriums und die Herabsetzung der monatlichen Raten. Es kam zur dritten Londoner Konferenz (7.bis 14. August). Poincaré vertritt die Ansicht, daß ein Moratorium nur dann gewährt werden kann, wenn Frankreich zuvor Zugriff auf produktive Pfänder erhalten habe. Großbritannien befürwortet ein Moratorium ohne eine Besetzung.

Vergleich man Poincaré Aussagen, die er vor der Konferenz machte mit denen, die er danach geäußert hatte, scheint die britische Regierung ihm gegenüber deutliche Worte gefunden zu haben [31].

Poincaré vorher: »Ich für meinen Teil ziehe die die Besetzung und die Eroberung dem Geldeinstreichen und Reparieren vor.« 26.07.1922

Poincaré nachher: »Selbst wenn Frankreich im Gegensatz zu seinen Wünschen dazu geführt werden sollte, für sich allein Pfänder zu nehmen, ohne die Mithilfe seiner Verbüündeten, würde es nicht versuchen, sie sich endgültig anzueignen, es würde die Sicherheiten nur festhalten bis zu dem Augenblick, wo Deutschland seine Einwilligung dazu gebe, seinen Verpflichtungen nachzukommen..« 21.08.1922

Im November 1922 wird Lloyd George gegen Bonar Law ausgetauscht. Bonar Law sollte die Beziehungen zu Frankreich kitten. Am 27. November 1922 erklärt Frankreich:

»Erstens eine vollständige Beschlagnahme der Rheinlande, die Frankreich jetzt besetzt hält, wobei namentlich die Ersetzung der deutschen Beamten durch französische zum Ausdruck kommen müsse; und zweitens Besetzung von zwei Dritteln des Ruhrgebietes...«

Lloyd George droht Frankreich [32]:

»Es gibt Leute in Frankreich, die zur Annektion von Gebieten raten, die von einer anderen Nation bewohnt werden. Diese Leute müssen warnend darauf hingewiesen werden, daß ein derartiger Schritt Frankreich die Sympathie Großbritanniens und Amerikas entfremden würde und daß, wenn einmal der unvermeidliche Befreiungskrieg kommt, die Sympathie Amerikas und Großbritanniens offen auf seiten der Parteien stehen werde, die für die nationale Freiheit kämpfen.«

Man bemerke, daß hier der nicht mehr in Regierungsverantwortung stehende Lloyd George für Amerika und Großbritannien spricht. Durch die Wiederherstellung der Einheit von Kohle und Minette „wäre Frankreich in der Lage gewesen seinem größten Gegner in Europa , England, in Bezug auf Eisen- und Stahlproduktion und -Handel ebenbürtig an die Seite zu treten [33].” Frankreich ignorierte die Drohung und wurde dafür hart bestraft.

Mit dem Einmarsch in das Ruhrgebiet wurde der Versailler Vertrag offen verletzt.

Zunächst mußte aber seinem Verderben der Weg geebnet werden. Es kam zu den Eingangs erwähnten nicht vollständig ausgeführten Holz- u. Kohlelieferung, wie die zu geringe Menge gelieferter Telegraphenmasten. Die Reparationskommission wurde angerufen und die stellte gegen die Stimme Großbritanniens eine Nichterfüllung fest. Doch genügte das nicht um Frankreichs Gelüsten zu entsprechen. Also sprach sich die Kommission das Recht zu, die 'Nichterfüllung' einer 'vorsätzlichen Nichterfüllung' gleichzusetzen und schon ließ sich eine Ruhrbesetzung eher schlecht als recht legitimieren.

Formal juristisch allerding gilt: Frankreich hat durch den Einmarsch in das Ruhrgebiet den Versailler Vertrag offen verletzt [34].

»Bei seiner Entscheidung trägt der Ausschuß den äußeren Bedürfnissen Deutschlands so weit Rechnung, wie es zur Aufrechterhaltung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens Deutschlands notwendig ist.« Vertrag von Versailles Teil VIII § 4 Anlage IV

Das Unternehmen wurde in derart schlampiger Weise kaschiert - Soldaten begleiten die Ingenieure die zur Sicherstellung der Pfänder ins Ruhrgebiet entsandt wurden [35] - daß die Frage nach den seelischen Defekten der Elite Frankreichs und darüberhinaus gestellt werden darf, da die sich augenscheinlich von dieser Form der Demütigung anderer, einen Wohlgenuß versprach bzw. verspricht.

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Quellen:

[01] Schultze-Rhonhof, Gerd, Der Krieg der viele Väter hatte, München 2012, S. 92ff
[02] Köller, Heinz, Kampfbündnis an der Seine, Ruhr und Spree, Berlin 1963, S. 73
[03] Maier/Paff/Schwank, Der Imperialismus der BRD, Frankfurt/M. 1971, S. 31ff
[04] Köller, Heinz, a.a.O., S. 16
[05] Brüning, Heinrich, Memoiren 1918-1934, Stuttgart 1970, S. 80f
[06] Spethmann, Hans, Zwölf Jahre Ruhrbergbau Bnd. III, Berlin 1929, S. 12f
[07] Bitter, Hans, Folgen der Ruhrbesetzung auf die Eisenindustrie.,, Bochum 1926, S. 5
[08] Renier, Henri, Die Wahrheit über die Ruhrbesetzung, Berlin 1923, S. 18f
[09] ebd. S. 19
[10] Spethmann, Hans, a.a.O., S. 13f
[11] Angress, Werner, Die Kampfzeit der KPD 1921-1923, Darmstadt 1973, S.111f
[12] Brüning, a.a.O., S. 81
[13] Spethmann, Hans, a.a.O., S. 17
[14] ebd. S. 19
[15] ebd. S. 23f
[16] Köller, Heinz, a.a.O., S. 50
[17] Spethmann, Hans, a.a.O., S. 25
[18] ebd. S. 26
[19] ebd. S. 29f
[20] D'Abernon, Viscount, Ein Botschafter der Zeitwende Band 2, Leipzig, S. 111f
[21] Rheinisch-Westffälische Zeitung v. 20.1.1923 Zit. nach Köller, a.a.o., S. 69
[22] Köller, Heinz, a.a.o., S. 52
[23] ebd. S. 72
[24] Tschubarjan, A. O. in Geschichte der UdSSR Band 2, Moskau 1977, S. 190
[25] ebd. S. 192
[26] D'Abernon, Viscount, a.a.O., S. 339
[27] ebd.
[28] Renier, Henri, a.a.O., S. 18
[29] Cornebise, Alfred, Gustav Stresemann und die Ruhrbesetzung, Darmstadt 1982, S. 179
[30] Spethmann, Hans, a.a.O., S. 32f
[31] ebd. S. 34f
[32] ebd. S. 37
[33] Bitter, Hans, a.a.O., S. 5
[34] Spethmann, Hans, a.a.O., S. 39
[35] ebd. S. 41

Fortsetzung.
 
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